Seitdem Bon Iver im Jahr 2008 sein von Kritikern hochgelobtes Debüt-Album „For Emma, Forever Ago“ veröffentlichte, sind 3 Jahre ins Land gegangen. Nun hat das bange Warten endlich ein Ende. Am 17. Juni erschien sein selbstbetitelter Nachfolger. Im Herbst ist Bon Iver auf Deutschlandtour.

Bon Iver, der von seinen Eltern ursprünglich den Namen Justin Vernon in die Wiege gelegt bekam, sich aber von der kalten Jahreszeit so magisch angezogen fühlte, dass er seinen Künstlernamen der französischen Bezeichnung für Winter („hiver“) entlehnte, bleibt auf seinem neuen Album zumindest thematisch seinen Wurzeln treu. Auch auf dem selbstbetitelten neuen Werk „Bon Iver“ dreht sich alles rund um das Gefühl, das der Winter in einem hervorruft, wenn er mit kalten Winden um die Häuserecken fegt, weiße Flocken vom Himmel schickt und ruhende Gewässer zu Eis erstarren lässt.   

Eigentlich jedoch ist „Bon Iver“ viel mehr eine Reise zu sich selbst, ein Reisetagebuch, das uns über konkrete Orte wie Perth und Calgary oder bloße Fantasiegebilde zurück in seine idyllische Heimatstadt Eau Claire im westlichen Wisconsin führt. Dort, wo Justin Vernon das Licht der Welt erblickte, nahm auch sein neuestes Werk Formen an. Innerhalb von drei Jahren errichtete er tagsüber gemeinsam mit seinem Bruder ein Tonstudio in einer alten Tierklinik und des Abends wurde fleißig musiziert.

Bon Iver und die 3 Jahre nach „For Emma, Forever Ago“

Neben den Arbeiten am neuen Album beschäftigte sich Vernon mit zahlreichen Nebenprojekten. Von seinem 2008er Debüt „For Emma, Forever Ago“ begeistert, bat ihn Rapper Kanye West um Mitarbeit an seinem Album „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“, welches 2010 via Def Jam erschien. Außerdem wirkte er neben etwa 25 anderen Musikern beim US-amerikanischen Softrock-Projekt Gayngs mit und gründete mit befreundeten Musikern den Volcano Choir, der ihn rein klanglich wohl auch bei den Arbeiten zum neuen Album beeinflusst haben mag.

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Bon Iver nutzt neues Album als künstlerisches Experimentierfeld

Auf „Bon Iver“ präsentiert Justin Vernon eine ganz neue klangliche Vielfalt, die man so noch nicht von ihm gewöhnt gewesen war. Erschien er auf seinem Debüt-Album noch als Solo-Künstler, so scheint er auf seinem neuesten Werk schrittweise die Vorstellung des einsamen Singer/Songwriters zu durchbrechen, umgibt er sich doch mit einer ganzen Menge talentierter Musiker. Diese Tatsache wird sich auch auf seine im Herbst anstehende Deutschland-Tour auswirken. Mit sage und schreibe 9 Musikern im Rücken wird er die Bühnen in Köln, Berlin und Hamburg betreten.

Während das neue Album im Vergleich zum Debüt im Klangspektrum erweitert und deutlich elektronischer und durcharrangierter daher kommt, bewahrt es doch die Zerbrechlichkeit, die den Songs eines Justin Vernon seit jeher innewohnten. Klassische Instrumente wie verschiedene Streicher, Hörner und Konzertgitarre gehen eine Symbiose mit ihren elektronischen Verwandten (Synthesizer, E-Gitarre und Co.) ein. Die Platte schafft Kontraste, transportiert jedoch gleichermaßen eine einheitliche Grundstimmung. Sphärische Klangflächen schaffen ein Fundament, auf dem die Songs zu festen Gebäuden erwachsen können.

So klingt „Bon Iver“

„Bon Iver“ beginnt gewohnt zurückhaltend, ruhig. Marschartige Trommelschläge verändern den Charakter von „Perth“ bis das Schlagzeug nahezu aus sich herausbricht, hart und fordernd wie ein Maschinengewehr, das allerdings nur aus der Ferne zu vernehmen ist.

Auch im darauffolgenden „Minnesota,WI“ steht die verzerrte E-Gitarre, die sich in der zweiten Hälfte des Songs zunehmend in den Vordergrund schiebt, im Kontrast zum Rest der Instrumentierung, die sich im Wesentlichen aus Akustikgitarre, Streichern und Bläsern zusammensetzt.

In „Hinnom,TX“ lernt man neben dem so vertrauten Falsett-Gesang Vernons auch seine tiefe Stimmlage kennen.

Der Song „Beth/Rest“, der den Abschluss des Albums bildet, wirkt musikalisch nahezu ironisch, provokant. Schmalzig, fast überladen, scheint es den aufmerksamen Hörer nun nahezu aus seiner Konzentration reißen zu wollen. Leichte Kost zum Abschied!? Oder einfach nur Ausdruck der überbordenden Freude darüber, die Heimat erreicht zu haben!? Platz für Spekulationen bleibt allemal.

Fazit

Alles in Allem: ein fragiles und dennoch opulentes Werk, das sich in seiner vollen Schönheit erst nach einigen Hörvorgängen erschließt, da es sich den üblichen Hörgewohnheiten eines Massenpublikums widersetzt.

Geteiltes Medienecho zu „Bon Iver“

Wurde sein 2008er Debüt von den Kritikern gefeiert und erreichte sogar Goldstatus in Großbritannien, so scheint die Meinung zum neuesten Werk deutlich geteilter auszufallen, was angesichts der stilistischen Wandlung eines Justin Vernon nicht verwunderlich scheint. Während Redakteure des NPR (Vereinigung verschiedener Radiosender in den USA) das Album als „grand, chance-taking record“ bezeichnen, der Focus es zur Platte der Woche kürt und es wohlwollend als „wundervoll“ aber „zu leise für die Welt“ bezeichnet, verteilt Joachim Hentschel vom deutschen Rolling Stone in seiner Rezension zwar 3 von 5 Punkten für „Bon Iver“, vergreift sich leider jedoch deutlich im Ton.

Wenn er „Bon Iver“ als „struppig und schrullig“, seinen Schöpfer als „singenden Bart“ abtut, fühlt man sich als Fürsprecher Vernons doch zu Recht nicht ernst genommen. Den Kommentaren verärgerter Bon Iver Fans kann ich definitiv beipflichten, wenn sie konstatieren, Hentschel gehöre wohl zu denjenigen, die Justin Vernon noch nicht so recht verstanden hätten. Ist Bon Iver doch eben gerade nicht der klassische Geschichten erzählende Singer/Songwriter, den er gerne aus ihm machen würde. Und genau aus diesem Grund lässt er sich auch nicht an wortstarken Kollegen wie Will Oldham oder William Fitzsimmons messen. Sein Fazit, Bon Iver habe uns nichts mitzuteilen, greift schlicht und ergreifend zu kurz. Ja, er tut dem feinfühligen Künstler, der mehr durch seine Musik als durch Worte zu sprechen vermag, gar Unrecht.

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“Bon Iver is about Winter, and the Winter seems to be the equalizer around here. It’s the all knowing thing, it’s more constant than sleep, everyone deals with it and everyone is in it. It’s about what Winter means, what everyone goes through, not just the season, but the death of anything, the birth of anything.” – Zitat Justin Vernon alias Bon Iver

Bon Iver auf Tour 2011

30.10.2011 Köln – E-Werk
01.11.2011 Berlin – Columbiahalle
06.11.2011 Hamburg – Docks

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